Zurück auf die Sonnenseite

Sechs Monate nach der Flutkatastrophe: Wann aus dem Schock der ersten Wochen eine Posttraumatische Belastungsstörung wird und wie Betroffene nach einem traumatischen Erlebnis wieder ins normale Leben zurückfinden können. Ein Interview mit Frank Voss, Pflegedirektor im Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler.

Frank Voss, Pflegedirektor im Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler, über Posttraumatische Belastungsstörungen im Kontext der Flutkatastrophe.

Panik, Verzweiflung, Hilflosigkeit – traumatische Erlebnisse lassen die wenigsten Menschen kalt. Wenn solche Symptome auch nach mehreren Monaten nicht nachlassen, wenn sich Betroffene immer mehr zurückziehen und es nicht mehr allein aus der Spirale der negativen Gedanken schaffen, sprechen Experten von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe erklärt Frank Voss, Pflegedirektor im Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler, woran Betroffene eine PTBS erkennen, wie sie damit umgehen können und wo sie Hilfe finden. Voss ist Gesundheitswissenschaftler, Gesundheitsökonom und Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule in Mainz sowie an der Fachhochschule Nordhessen.

Herr Voss, was ist eine PTBS?

Eine Belastung ist eine ganz normale Reaktion auf ein unerwartetes, belastendes Ereignis, wie die Flutkatastrophe im Juli. Diese Erfahrung verursacht zunächst tiefe Verzweiflung und Irritation. Unser Körper geht automatisch in Alarmbereitschaft. Bei einem solchen Ereignis leiden zunächst alle Menschen unter der Belastung. Die meisten können die Situation allein bewältigen, doch manche kämpfen auch nach Monaten noch mit den Symptomen. Dann sprechen wir von einer PTBS.

Was genau sind die Symptome einer PTBS?

Die Symptome sind individuell unterschiedlich. Häufig klagen die Betroffenen bei einer PTBS über Kontrollverlust und damit auch Ohnmacht und Hilflosigkeit. Viele fühlen sich betäubt, verärgert und verzweifelt, haben Angst oder Depressionen. Oft erleben die Betroffenen die Situation in sogenannten Flashbacks immer wieder, sind extrem wachsam oder vermeiden ähnliche Orte, Menschen oder Gefühle. Wir erleben bei uns zum Beispiel Patienten, die kein rauschendes Wasser mehr ertragen können, weil sie während der Flutkatastrophe über Stunden in einem überschwemmten Haus ausharren mussten. So versucht der Körper und die Psyche mit einer Situation umzugehen, die er nicht anders händeln kann.

Das heißt, grundsätzlich kann jeder nach einem traumatischen Ereignis eine PTBS entwickeln – muss aber nicht?

Richtig. Jeder Mensch besitzt unterschiedliche Ressourcen, um mit Lebenskrisen umzugehen. Hier spielen unter anderem das Aufgehobensein in einer Gruppe, die eigene Resilienz und Selbstbewusstsein eine wichtige Rolle. Das bedeutet aber auch, dass die Schwere des Ereignisses kein Maßstab für das Ausmaß der Krise ist. Sprich: Der eine verliert durch die Flut sein ganzes Haus und kann diese Krise gut bewältigen, den anderen stürzt ein überschwemmter Keller in große Verzweiflung. Psychisches Leid ist subjektiv – und immer ernst zu nehmen. Daneben gibt es unterschiedliche Trauma-Typologien, mit denen die meisten Menschen unterschiedlich gut zurechtkommen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Unter dem Trauma-Typ 1 fassen Experten einzelne Ereignisse, wie Unfälle oder Naturkatastrophen, zusammen. Solche Erfahrungen sind erklärbar, zudem können die Betroffenen ihre Erfahrungen mit anderen teilen. Wir gehen davon aus, dass rund 10 bis 20 Prozent der Menschen, die eine solche Erfahrung machen, von PTBS betroffen sind. Anders sieht es beim Typ 2 aus. Zu ihm zählen Serien von Traumata, wie Gewalt, Missbrauch oder über Jahre bestehende toxische Beziehungen. Oft trifft es Menschen, die bereits vorher schon mit Problemen zu kämpfen hatten. Bei ihnen entwickeln bis zu 80 Prozent eine PTBS.

Wann sollte ich mir professionelle Hilfe suchen?

Normale Lebenskrisen brauchen in der Regel keine psychiatrische Behandlung, vor allem, wenn die Betroffenen über ein stabiles soziales Umfeld verfügen. Wenn aber die Symptome nach mehreren Monaten nicht nachlassen, wenn sich die betroffene Person immer mehr zurückzieht und es nicht mehr allein aus der Spirale der negativen Gedanken schafft, sollte er oder sie sich professionelle Hilfe holen. Hier können Freunde und Familie wichtige Hinweise geben. Gerade während der Flutkatastrophe konnten viele Menschen erst Wochen später mit der Verarbeitung beginnen, weil in der akuten Phase einfach zu viel zu tun war.

Wie gut lässt sich PTBS behandeln?

PTBS lässt sich sehr gut behandeln. Dabei gilt grundsätzlich: Der Betroffene gibt vor, was er braucht. Danach orientiert sich die Therapie. Viele verschiedene Organisationen, wie Familienbildungsstätten, die Caritas oder die Telefonseelsorge bieten erste Anlaufstellen mit niederschwelligen Angeboten an. Für manchen Betroffenen kann schon ein Gespräch in einer Gruppe mit anderen Betroffenen wichtige Anstöße geben, um einen Ausweg aus seiner Lage zu finden, Menschen, bei denen ein Suizid-Risiko besteht, benötigen schnell professionelle Hilfe.

Auch viele Ihrer Mitarbeiter:innen hat die Flut getroffen. Wie geht Ihr Klinikum damit um?

Viele Kolleg:innen haben ihre Wohnung, ihr Haus oder sogar Angehörige verloren. Ich bin noch immer beeindruckt vom Zusammenhalt im Team sowie von der Unterstützung der Marienhaus-Gruppe, die uns alle geschützt und gestützt hat. Viele Mitarbeiter:innen haben trotz eigener Sorgen angepackt, haben sich an unseren Spendenaktionen oder der Trinkwasserverteilung beteiligt und ausgeholfen, wo es nötig war. Betroffene konnten sich zudem für bis zu fünf Wochen ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung freinehmen oder die Klinik in den ersten Tagen als Notunterkunft nutzen. In den letzten Wochen haben wir zudem begonnen, Mitarbeiter:innen in Workshops über PTBS zu informieren. Parallel dazu arbeiten wir eng mit den Trauma-Spezialisten der Dr. von Ehrenwall‘sche Klinik zusammen. Seit Anfang Dezember bietet im Landkreis Ahrweiler außerdem das Traumahilfezentrum (THZ) in Grafschaft-Lantershofen Unterstützung an. Es wurde vom Land Rheinland-Pfalz und verschiedenen Kooperationspartnern ins Leben gerufen, um vor allem schnelle Hilfsangebote für die von der Flut betroffenen Menschen zu ermöglichen.

 

Hier erhalten Betroffene Hilfe: Das Traumahilfezentrum ist über die Homepage www.thz-ahrtal.de sowie unter der Telefonnummer 02641 2079099 zu erreichen.

Krankenhaus Maria Hilf
Dahlienweg 3
53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Telefon:02641 83-0
Telefax:02641 83-1771
Internet:http://www.marienhaus-klinikum-ahr.de
Brohltal-Klinik St. Josef Fachklinik für Geriatrische Rehabilitation
Kirchstraße 16
56659 Burgbrohl
Telefon:02636 53-0
Telefax:02636 53-3799
Internet:http://www.marienhaus-klinikum-ahr.de